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Warum wir kein Hα sehen können

Dunkeladaptation in Stäbchen und Zapfen

 

*** Ausführlicheres zu diesem Thema habe ich mittlerweile hier zusammen gestellt ***

September 2004

Emissionsnebel bestehen größtenteils aus Wasserstoff. Wasserstoff leuchtet im sichtbaren Spektralbereich rot, wenn er durch höherenergetische Strahlung angeregt wird. Verantwortlich für dieses rote Leuchten ist die sogenannte H-alpha-Linie bei 656 nm am langwelligen Ende des sichtbaren Spektrums. Die rote Farbe dominiert auf Fotografien dieser Nebel, visuell sehen wir leider nicht sehr viel davon. Die rote Wasserstoff-Emissionslinie H-alpha der Nebel können wir in der Regel kaum wahrnehmen, nur die meist schwächere H-beta-Linie bei 486 nm im grün-blauen Spektralbereich. Dasselbe gilt für die Linienspektren von Planetarischen Nebeln, von denen wir vor allem die sogenannten OIII (sprich O-drei) Linien des Sauerstoffs um 500 nm (ebenfalls grün-blau) wahrnehmen und nicht die weiter im Roten liegenden Emissionslinien des Wasserstoffs und des Stickstoffs.

Warum ist das so? Unsere Netzhaut besitzt zwei Grundtypen von Rezeptorzellen: Die für das Dämmerungssehen zuständigen sogenannten Stäbchen (aufgrund ihrer langgestreckten Form), sowie die für das Farbensehen zuständigen Zapfen (aufgrund ihrer konischen Form), wobei es von den Letzteren drei Untertypen für jeweils den blauen, grünen und roten Spektralbereich gibt. Grün-blaues Licht kann von den Stäbchen-Zellen in unserer Netzhaut detektiert werden kann, die in dem Bereich um 500 nm ihre höchste Empfindlichkeit haben. Für die Wahrnehmung von rotem Licht im Bereich der H-alpha-Linie kommen ausschließlich Zapfenzellen (in diesem Fall die rot-empfindlichen) in Frage, wobei auch für diese H-alpha schon am Rande des Empfindlichkeitsbereichs liegt. Bei ausreichender Intensität ist der rote Spektralbereich, in dem H-alpha liegt, jedoch trotzdem noch gut wahrnehmbar. Nicht so jedoch bei den geringen Licht-Intensitäten, die von Deep-Sky-Objekten ausgehen. Die für das Farbensehen zuständigen Zapfen haben selbst nach längerer Dunkeladaptationszeit leider eine um den Faktor 100 geringere maximale Sensitivität im Vergleich zu den für das Dämmerungssehen optimierten Stäbchen. Dies entspricht in etwa fünf Größenklassen. Bisher nahm man an, dass dieser Unterschied vor allem in einer unterschiedlichen Sensitivität der beteiligten Sehpigmente (Rhodopsine) sowie in den für Stäbchen und Zapfen unterschiedlichen nachgeschalteten Signal-Verstärkung und -Weiterleitung in der jeweiligen Rezeptor-Zelle begründet lag.

Vladimir Kefalov, King-Wai Yau und ihre Mitarbeiter an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore konnten nun zeigen, dass die (für uns Hobbyastronomen ziemlich leidige) "Unempfindlichkeit" der roten Zapfen zu einem großen Teil auf einem völlig anderen Mechanismus beruht (Nature, Band 425, S. 526 (2003)). Sie verwendeten hierzu ein ziemlich raffiniertes Testsystem, in dem sie mit molekular-biologischen Methoden Zapfen-Zellen herstellten, die Stäbchen-Rhodopsin enthielten, sowie umgekehrt Stäbchen-Zellen, die Zapfen-Rhodopsin enthielten.

Unsere Stäbchen-Zellen besitzen prinzipiell die Fähigkeit, einzelne Photonen, Lichtquanten, zu detektieren. Die Rhodopsine in diesen Zellen werden dadurch aktiviert, dass das Photon von einem im Rhodopsin gebundenen Vitamin A-ähnlichen Molekül (Retinal) absorbiert wird und dieses dann seine Form ändert ("isomerisiert"). Eine solche Isomerisierung kann theoretisch auch in Abwesenheit von Licht spontan stattfinden. Für das Stäbchen-Rhodopsin ist die Wahrscheinlichkeit für eine solche spontane Isomerisierung allerdings extrem gering. Rein rechnerisch tritt sie etwa einmal in 470 Jahren für ein gegebenes Rhodopsin-Molekül auf. Das Rhodopsin der Stäbchen ist somit in völliger Dunkelheit komplett inaktiv. Wie jeder von uns weiß, nimmt die Empfindlichkeit der Stäbchen-Zellen in hellerer Umgebung rapide ab. Dieser als Licht-Adaptation bezeichnete Prozess ist ein ziemlich intelligenter Mechanismus und ermöglicht uns das Sehen bei unterschiedlichsten Umgebungshelligkeiten.

Kefalov fand nun heraus, dass das Rhodopsin in den roten Zapfen genauso empfindlich ist wie das in den Stäbchenzellen, und auch die maximale Signal-Verstärkung in den Zapfen ist nicht so viel geringer, im Gegensatz zu den bisherigen Vermutungen. Das Zapfen-Rhodopsin weist jedoch im Gegensatz zum Stäbchen-Rhodopsin eine fast 20000-fach erhöhte Rate spontaner Isomerisierungen auf. Dies bedeutet, dass in der Zapfenzelle immer ein geringer, aber signifikanter Anteil des Rhodopsins aktiv ist, selbst in absoluter Dunkelheit. Diese sogenannte Dunkelaktivität des Zapfen-Rhodopsins gaukelt somit der Rezeptorzelle einen permanenten, virtuellen Photonenstrom vor, auch in Abwesenheit von Licht. Dieses schwache "Rauschen" erschwert natürlich die Wahrnehmung schwacher Lichtintensitäten. Viel schwerwiegender ist jedoch, dass diese Dunkelaktivität nun (leider!) ausreichend hoch zu sein scheint, um die Zapfen permanent in den unempfindlicheren, licht-adaptierten Zustand zu versetzen. Oder andersherum gesagt: Unsere Zapfen sind deshalb etwa 100 mal unempfindlicher als die Stäbchen, weil sie keine komplette Dunkeladaptation machen können! Während sich die Empfindlichkeit der Stäbchen in Dunkelheit erheblich steigert, trifft dies für die roten Zapfen leider nicht in dem selben Maße zu, selbst wenn wir auf dem Schauinsland alles Rotlicht abschalten würden.

Vielleicht reicht aber die geringere Empfindlichkeit der roten Zapfen doch aus, um H-alpha-Licht wenigstens von helleren Nebeln wahrnehmen zu können, zumindest mit einem größeren Teleskop wie unserem 20-Zoll Photonensammler auf der Sternwarte. Diese Wahrnehmung würde jedoch in der Regel von dem viel stärkeren Sinneseindruck der Stäbchen überdeckt werden. Um dies nachzuprüfen, müssen wir daher auf jeden Fall die empfindlicheren Stäbchen "ausschalten", indem wir einen Filter verwenden, der den blau-grünen Spektralbereich selektiv abblockt. Zusammen mit Björn Schumacher habe ich das letzten Herbst an einigen der helleren Emissionsnebel ausprobiert. Als Filter diente ein Kantenfilter, der rotes Licht über 635 nm (und somit auch H-alpha) ungeschwächt durchlässt. Erste Testobjekte waren planetarische Nebel mit relativ hoher Flächenhelligkeit, aber nur mäßigem relativem H-alpha-Anteil. M57, der Ringnebel in der Leier, und der Hantelnebel M27 waren in Kombination mit dem Rotfilter definitiv nicht zu sehen. Auch bei den auf Fotografien herrlich roten HII-Emissionsgebieten mit hohem H-alpha-Anteil war zunächst nur Fehlanzeige. Ohne Filter waren alle Nebel im Licht ihrer H-beta- oder OIII-Linien hell zu sehen, mit Rotfilter jedoch leider überhaupt nichts. Erst als im Laufe der Nacht der Orionnebel aufging, kam es zum ersten, aber auch einzigen Erfolgserlebnis. Schwach und schemenhaft war auch mit dem Rotfilter nach einiger Zeit ein leichter Sinneseindruck zu halten, der allerdings alles andere als beeindruckend war. Die geringere Empfindlichkeit der roten Zapfen kann durch die zum Teil erheblich höhere Strahlungsintensität im roten Bereich also bei Weitem nicht wettgemacht werden.

Bleibt also nur Hoffnung für spätere Generationen. Vielleicht bringt ja die visuelle Beobachtung von Deep Sky Objekten einen kleinen genetischen Selektionsvorteil mit sich, so dass sich irgendwann in ferner Zukunft doch mal eine Population von H-alpha-Sehern evolutionär gegen die "Nachts-sind-alle-Nebel-grau"-Fraktion durchsetzen kann. Wir werden das jedenfalls nicht mehr erleben.

in Mitteilungen der Sternfreunde Breisgau, September 2004 

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